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Freitag, 4. März 2011

Von den Nächten

Sie schrie als sie sich das kochende Wasser mit zitternden Händen schwungvoll von der Tasse mit Instantkaffeepulver über die Küchentheke und auf den Fuß goss. Schnell hielt sie sich selbst den Mund zu, stellte den Wasserkocher ab und sprang auf einem Bein zur Spüle, schwang das andere Bein in das Waschbecken und ließ sich kaltes Wasser über den Fuß laufen ohne den Strumpf auszuziehen. Schwankend hielt sie sich eine Weile an der Küchenplatte fest und murmelte: „Das Gute ist: es tut erst morgen weh.“ Sie grinste in die dunkle Küche.

Tatsächlich spürte sie nur noch ein leises taubes Kribbeln im Fuß als sie das Wasser abdrehte, ihre halbleere Weinflasche griff und einen tiefen Schluck nahm. Besorgt überlegte sie ob ihr Schrei wohl ihre Mitbewohner aufgeweckt hatte, dann verlor sie den Gedanken über ein weitaus wichtigeres Problem: ihre randvolle Tasse wässrigen Kaffees.
Sie seufzte, goss vorsichtig ein wenig der braunen Flüssigkeit in den Ausguss und rührte zwei Extralöffel Kaffeepulver ein. „Just for good measure.“

Sie stolperte mit Kaffee und Wein bewaffnet und feuchte Fußabdrücke auf dem Parkettboden hinterlassend ins Wohnzimmer, wo ihr Laptop wartete. Er zeigte ein geöffnetes Word Dokument und 05:23 Uhr. Sie hatte keine Ahnung wo die letzten drei oder vier Stunden geblieben waren. Im Grunde genommen hatte sie keine Ahnung wo die letzten drei oder vier Nächte geblieben waren. Sie vermutete einen Zusammenhang zwischen den beiden weißen Flecken in ihrer Erinnerung und machte sich eine Notiz auf den Handrücken, die sie daran erinnern sollte der Sache nachzugehen sobald sie den Essay fertig geschrieben, abgegeben und endlich einmal wieder geschlafen hatte.

Sie nahm einen tiefen Schluck Kaffee und verbrannte sich die Lippen. (Das Gute ist: es tut erst morgen weh.) „Es wurde gezeigt, dass die Ästhetik der Schlaflosigkeit für Nietzsche…“ begann sie ihre Zusammenfassung. Das regelmäßige Klicken der Tastatur sollte für die nächsten paar Stunden das einzige Geräusch in der sich langsam erhellenden Wohnung bleiben.
Sie hatte ihre Mitbewohner nicht aufgeweckt.

(Sie fanden sie gegen Nachmittag auf dem Sofa. Ihr Laptop zeigte das online eingereichte Dokument, das volle Punktzahl und eine hervorragende Rezension bekommen sollte, und 16:23 Uhr. Dort, wo ihre Füße lagen, waren blassbraune Flecken auf der hellen Couch und auf ihrem Handrücken stand: „Zeit finden“.)


Die Nächte sind geschmolzen,
sie schwappen schwarz über Tassenränder
während ich Treppen steige.
Sie schmecken natürlich bitter.

Aber das geht schon, mit etwas Milch
fällt mir das Schlucken leichter und
es sieht schon fast aus wie Tag oder zumindest
Zwielicht.

Schwarze Meere, die ich verschütte
oder trinke und verdaue, voller
unbekannter Lichter und schleimiger Häute,
die meine Füße streifen.

Ich bin ein guter Schwimmer.
Ich bin ein noch besserer Trinker.
Das geht schon, mit etwas Mut
und überhaupt sieht es schon fast aus wie -
also diese ganze Sache mit den Nächten und
dem Kaffee und dem Meer, das sieht fast aus wie
ein Spiegel, der mir andere Menschen zeigt,
immer und immer wieder.

3 Kommentare:

  1. Wunderbar, vor allem die erste Strophe des Gedichtes. :)

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  2. "Die Nächte sind geschmolzen,
    sie schwappen schwarz über Tassenränder"
    Wundervoll. Du kannst wirklich stolz darauf sein, wie du schreibst.

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  3. Hallo ihr zwei, vielen Dank für die Kommentare und schön dass ihr dazu geschrieben habt welche Stellen euch am besten gefallen. Konkretes Feedback ist immer hilfreich und motiviert.
    Liebe Grüße

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