Diese Seite enthält nur Worte und ist nicht daran interessiert, deine Augen oder Ohren zu unterhalten.

Keine der Personen, die hier beschrieben werden, existiert wirklich. (In deinem Leben.)

Alles, was hier beschrieben wird, ist wahr. (In deinem Kopf.)



Freitag, 22. April 2011

Tin Roof



Ungefähr zwanzig junge Menschen sitzen im sonnigen Hof der alten Lagerhalle, die nun schon seit einigen Monaten von arbeitslosen Kunststudenten als Studio genutzt wird. Selbst für Passanten, die Tin Roof nicht kennen, muss klar sein, dass dies eine kreative Gruppe ist: die abgetragenen Second Hand Klamotten, die Hüte, die Farben, die Dreitagebärte, der süßliche Geruch von Gras, der über der Szene hängt und sogar den Grillgeruch überdeckt.


Es ist laut obwohl niemand auch nur ein Wort spricht. Schweigend wechseln sie sich am zischenden Grill ab. Ein paar von ihnen spielen ein obskures Spiel mit zehn Holzblöcken, die sich in zwei Fünferreihen gegenüberstehend einen etwas höheren und spitz zugeschnittenen Holzblock einschließen und scheinbar nacheinander mit kleinen Sandsäcken umgeworfen werden müssen. Ein Mädchen springt im letzten Moment zur Seite, als einer der Klötze getroffen und knapp an ihrem Bein vorbei über den Hof geschleudert wird. Sie lacht.
Ein junger Mann mit rötlichem Bart liest E. E. Cummings.

Hin und wieder steht irgendjemand auf und geht zu den Leinwänden und der Skulptur, die bisher aus Leim, Glas und Asche zu bestehen scheint, und fügt irgendwas hinzu. Eine Farbe, eine Form, ein neues Material. Kein Wort.

Während die Kohlen in der Dämmerung langsam erkalten und die Skulptur mehr und mehr zu einer Bierflaschen- und Altglassammlung verkommt verliert sich das Konzept. Wirre Stimmen schwirren durch Glas und Glanz.


wir     sind in rauch     ausgebrochen
worte     in uns nicht-     gesprochen
schweigen ist gold
finger
zeigen gewollt
: zwinger
wünsche:     rosten getürmt
wir:     lauschen erzürnt
-en   rauchzügen   rauschend im nachtraum


twenty-odd kids     sitting about     smoking
twenty-odd words     lingering un-     spoken
silence is gold
-en     eyes
science unfold
-ing     sighs
thoughts:     piled up rusting
we:     wound up thrusting
smoke trains       into the night



Anmerkung: Dies ist mein erster Versuch in diesem Stil, der natürlich stark E. E. Cummings inspiriert ist. Die unregelmäßigen Updates tun mir sehr leid, ich stehe wenige Wochen vor Studienabschluss.

Donnerstag, 7. April 2011

Betrügen: eine Anleitung



Sie war selten von so vielen schönen Männern umgeben gewesen. Noch viel seltener war sie von so vielen schönen Männern bemerkt worden. Und noch nie hatten sich so viele schöne Männer um sie gerissen.

Es war ihr egal dass all die Aufmerksamkeit, die ihr entgegengebracht wurde, ganz offensichtlich daher rührte, dass sie das einzige Mädchen im Raum war. Sie genoss sie in vollen Zügen.

Der Vampir war mit Sicherheit der direkteste ihrer Anwerber. Er füllte ihre Getränke nach bei jedem Schluck, den sie nahm, er berührte sie leise, er lächelte sein kaltes Lächeln und stellte sicher, dass sein schlanker hochgewachsener Körper stets in ihrer Nähe war.

Der Prinz brachte sie zum Lachen. Seine blonden Locken fielen ihm in die Stirn und in die braunen Augen, die ihren Blick im Schraubstock hielten und nicht freigaben.

Der Däne hatte etwas Anziehendes in seiner stillen Zurückhaltung. Obwohl er sie nicht einmal direkt anzusprechen wagte war er präsent für sie, physisch und psychisch. Er warf mit seinem harten Akzent große Worte in die Runde, die sie nicht verstand und die sich in unter ihre Haut schraubten.

Der Fuchs betrachtete sie aus der Ferne, sein grauer Blick wanderte scheu durch die Männermenge und anstatt zu trinken spielte er nervös mit seinem dünnen rötlichen Bart. Höflich zeigte er allen seinen männlichen Gästen den Weg zur Toilette und füllte ihre Gläser, wenn die mitgebrachten Getränke zur Neige gingen. Doch am Ende galt auch seine Aufmerksamkeit nur ihr. Ihr Herz zuckte wenn ihre Blicke sich begegneten. Sie wusste nicht wieso. Sie hatte vergessen wieso.

Sie verließ die Küche, in der sich alle Gäste aufhielten, und fühlte ihren Weg durch die dunklen Korridore zur Toilette. Dort angekommen hörte sie ein unterdrücktes Fluchen: der Vampir konnte den Lichtschalter nicht finden. Nachdem sie ihm gesagt hatte dass sie ihm helfen würde hatte sie kaum Zeit die Wände abzutasten, da hatte er sie schon gepackt und geküsst. Ihr Kopf schrillte und schmerzte, sie verging fast im Sublimen.
Als er sie losließ stolperte sie in eines der Nebenzimmer und sank zitternd an der Wand zu Boden. Der Alkohol und die Hitze drehten sie in benommenen Kreisen. Sie hörte ein Geräusch an der Tür und wollte schon protestieren als sie in der Dunkelheit an Stelle der erwarteten hageren Gestalt einen viel kleineren Mann mit Lockenschopf eintreten sah, dicht gefolgt von der kantigen Figur des Dänen. Der Prinz nahm sie in seine Arme, liebkoste sie zärtlich und wartete, bis sie sich beruhigt hatte. Sie nahm es kaum noch wahr, als er seine Hand unter ihr T-Shirt schob. Der Däne starrte.

Als sie erwachte war sie noch immer in diesem Raum, den sie wie zum ersten Mal wahrnahm. Inzwischen spendete eine kleine Nachttischlampe ein Minimum an Licht. Auf dem großen, ordentlich gemachten Doppelbett lag der Fuchs neben ihr und reichte ihr schweigend ein Glas Wasser als er merkte, dass sie erwacht war. Als sie ihn sah zog sich ihr Magen zusammen. Der Geschmack in ihrem Mund sagte ihr dass es nicht das erste Mal an diesem Abend war.

Sie schwiegen lange. Aus reiner Gewohnheit fuhr sie über den glatten hölzernen Bettrahmen. Sie betrachtete das Foto von ihr und ihm auf dem Nachttisch. Selbst im Zwielicht noch schimmerte sein Haar in dem Rotton, den sie so liebte. Sein Haar auf dem Kissen, sein Haar im Rahmen. Auf dem Bild lächelte lächelten sie beide.
Sie drehte sich wieder zu ihm.


Und sie lächelten nicht.


Es ist ganz einfach:
du musst nur zweimal
nein
und dann einmal
ja
sagen und dann
geht es wie von selbst.

Dann wird alles
flaschengrün
und eine scharfe Scherbe
vielleicht eine Rutsche,
die in einer
Dreitagebartwiese endet.

Verspielt
hast du bereits, also
spiele
mit ganzem Einsatz
bis zum bitteren
Ende.

Denke nie an Morgen.

Hier endet die Anleitung.