Diese Seite enthält nur Worte und ist nicht daran interessiert, deine Augen oder Ohren zu unterhalten.

Keine der Personen, die hier beschrieben werden, existiert wirklich. (In deinem Leben.)

Alles, was hier beschrieben wird, ist wahr. (In deinem Kopf.)



Mittwoch, 23. Februar 2011

wir fallen

(Alternative Titel:
Facebook oder Als ich eines Tages plötzlich in der Zeitung war.)



wir alle fallen in
Masken und Wesen und
hasten durch Leben durch
Straßen und Gassen
und lassen
es stets beim Gewesen

und sind wir mal ehrlich:
wir lesen
uns andere Alle

wir schreiben
allen ja wirklich ja ehrlich wir fallen
in Masken und Wesen und

wenn die letzte Maske fällt

-

wenn die letzte Maske
fällt

-

Montag, 21. Februar 2011

Parce que moi, je rêve. Moi, je ne suis pas.

In die Leere ihres Lebens warf sie einen Film. Für fast zwei Stunden war sie so atemlos wie während einer ihrer Albträume.
(Was sie nicht wusste: sie spannte sogar dieselben Muskeln an, die auch während ihrer Albträume zitterten. Wäre er noch da gewesen wäre er bestimmt erschrocken sie so auf dem Bett liegen zu sehen, in verkrampfter Embryohaltung, mit ineinander verkrallten Händen, Schweiß auf dem schmerzverzerrten Gesicht, knirschenden Zähnen – und offenen Augen.
Doch er war nicht mehr da. Und so wusste niemand, dass sie sogar dieselben Muskeln anspannte, die auch während ihrer Albträume zitterten. Und niemand erschrak.)

Sie spielte mit dem Gedanken, mit diesem Freund zu schlafen, aber sie hatte seine Freundin inzwischen viel zu lieb gewonnen und war ohnedies zu müde die Wohnung zu verlassen oder irgendwen dazu zu bringen, nach dem Sex ihre Wohnung zu verlassen. Es war ihr rätselhaft, warum irgendwer nach lieblosem Sex über Nacht bleiben wollen könnte.
(Was sie nicht wusste: manche Menschen haben keine Albträume, die ihre Muskeln zittern und ihre Zähne knirschen lassen. Manche Menschen erschrecken nicht sondern schlafen geradezu besser, wenn sie menschliche Wärme neben sich spüren.
Manche Menschen schlafen einfach manchmal.)

Dann spielte sie mit dem Gedanken ihn zu googeln, aber sie hatte noch immer nicht herausgefunden, wie man die Liste der Suchbegriffe löscht und zwischen zwei trockenen Schluchzern war sie einfach zu müde diesen Kniff zu lernen.
(Manchmal wäre sie gerne einer dieser Menschen, die einfach schlafen.)

Sie wollte irgendwen kontaktieren, mit dem sie nicht schlafen wollte, doch sie wusste, wie stumm sie war. Und so griff sie zu einem Stift.

Et j’irai me reposer, la tête entre deux mots, dans l'avalée des avalés.

Parce que moi, je rêve. Moi, je ne suis pas.


Bis zu dem Punkt,
an dem der Kaffee dir auch noch
den letzten Traum entrissen hat,
unbewohnte Frau.

Nicht dass du sie misst,
diese Träume
voller brauner Gerüche und scharfer Farben,
voller spitzer Organe und roher Schreie,
doch irgendwie füllten sie dich,

erfüllten einen Raum,
fühlten deinen Kopf
aus, bedächtig jeden Zentimeter messend,
maßgeschneiderte Angst.

Ein Gefühl so groß
dass es dich weitete bis
die Herznähte krachten.
Der leere Raum also noch größer.

Echos alter Leben
tanzen nun in dir
und sie führen und verirren dich,
unbewohnte Frau.

« Parce que moi, je rêve. Moi, je ne suis pas. »

Montag, 14. Februar 2011

Selbstauslöser

Für Amelie zum Valentinstag. Ohne jeglichen inzestuösen Hintergedanken. Und ohne jegliche Idee, wie sie ihre Fotos tatsächlich macht.


Sie betrachtet den Ausschnitt ihres Zimmers durch die Kameralinse: die hohen, lichtdurchfluteten Fenster, die weißen Vorhänge, die die Sonnenstrahlen wie Insekten fangen und einsperren, die feinen eisernen Gitterstäbe des leeren Vogelkäfigs, der an der Gardinenstange hängt und ihr als Schmuckständer dient.

Genüsslich streicht sie sich die inzwischen wieder dunkleren, leicht gelockten kinnlangen Haare aus dem Gesicht (aber nie zu weit). Sie trägt etwas mehr Lippenstift auf (aber nie zu viel).
Sie tritt vor die Kamera, stellt sich in ihren Lichtkäfig und drückt den Selbstauslöser. In zehn Sekunden wird sie alles, was sie jemals sein wollte.

Le fabuleux destin d'Amélie.


Kein Auge
stellt dich, hält dich, dreht dich
weltlich um dich selbst. Nicht
einmal eine Braue runzelt Stirnenschauer
über deinen nackten Nacken.

Dein Auge
schält, vermählt und quält dich:
kleiner reiner Tod.
Ein einziger reiner Moment.
Du wählst dich.

Erzählst dich
dem Auge der Welt.

Die, verklärt, staunt und staunt.

Mittwoch, 9. Februar 2011

Vom Trösten

Sie waren erst einmal zusammen ausgegangen, aus Versehen.

In der Nacht waren sie beide in ihre Stammkneipe gegangen, weil sie vergessen hatten, dass sie den Abend davor kollektiv beschlossen hatten, eine neue Bar auszuprobieren. (Fail.)
Was folgte war ein vorgezogenes und überaus unangenehmes erstes Date, eigentlich waren sie nämlich ohnehin zu zweit für die nächsten Abend verabredet gewesen. (Utter fail.)
Als sie nach einer halben bis dreiviertel Stunde per SMS versuchten, die Situation aufzuklären, beschlossen ihre Freunde sie bei ihrem Date (das zu diesem Zeitpunkt noch informell unter „Treffen“ lief) am darauffolgenden Abend zu treffen. (Ultimate fail.)

So wurde ihr erstes geplantes Date also um 8 Personen bereichert.
Sie gingen doch wieder in ihre Stammkneipe und alles deutete darauf hin, dass dies ein weiteres Glied in der Reihe undefinierbarer und uniformer Nächte wurde, nur vielleicht etwas unangenehmer.
„The more the merrier my arse“ sagte sie grinsend zu ihm. Er war Amerikaner und ihre auf Anhieb gute Verbindung basierte hauptsächlich auf ihren hervorragenden Englischkenntnissen und seiner hervorstechenden Attraktivität. Hinzu kam eine beiderseitige Alternativlosigkeit, bedingt dadurch dass er erst vor zwei Wochen in Deutschland angekommen war und noch kein Wort Deutsch sprach oder Menschen kannte, an denen er es ausprobieren konnte, sowie durch die Tatsache, dass sie mit Siebenmeilenstiefeln auf den Jahrestag ihrer Durststrecke zulief und nächste Woche ihre Tage bekommen würde.

Was so vielversprechend einfach begonnen hatte entwickelte sich innerhalb weniger Stunden zu einer Sackgasse. Er war verschlossen an diesem Abend, geradezu unfreundlich, und nicht nur zu ihr. Trotzdem war er der erste, der bei der Suche nach einem geeigneten Ziel für ein Woandershinwalking seine Wohnung anbot. Alle gingen, alle bereuten.
Sie sahen Forgetting Sarah Marshall und The Hangover (die Reihenfolge ist bis heute noch strittig). Sie gähnten verhalten. Sie gingen.
Bis auf sie. Er bat sie zu bleiben. Sie blieb. Er erzählte ihr was vorgefallen war während sie ihn hielt. Sie waren beide selten so allein gewesen.

Sie beendete an diesem Abend ihre Durststrecke vor dem Jahrestag, doch sie verließ seine Wohnung hungrig. Er würde sich nie bei ihr bedanken oder entschuldigen.

Im Grunde würden sie überhaupt nicht mehr sprechen.


Nachdem alle gegangen waren
blieb sie, gefesselt von seinen hilflosen Blicken,
gehalten von seinen haltlosen Händen.

So verbrachten sie die Nacht
in seinem Schmerz.

Für sie: ein fremdes Meer, das über sie spült.
Für ihn: die Welt, in der (vielleicht) eine Boje schwimmt.

Sie füllte den undefinierten Raum
mit Worten wie mit Sandkörnern
um einen Boden zu legen,
auf dem er sie nehmen konnte.

Er füllte den neu definierten Raum
mit Küssen wie mit Möwenschreien
um einen Grund zu geben,
doch da war kein Platz für Zärtlichkeit.

Die Wut schwamm in seinen Augen
und etwas Angst vor dieser Fremden,
deren Kopf er mit einer Hand festhielt.

Nach Stunden
wusch sie sich
und verließ seine Welt
mit schmerzenden Gliedern
und leeren Händen.

Der Heimweg war lang und dunkel
und der Sand zog ihr noch lange den Boden unter den Füßen weg.

Samstag, 5. Februar 2011

Seekrank



Der Alkohol öffnet ihre Pupillen wie Türen. Jedes Mal, wenn er sie betrunken sieht, ist es wie an diesem ersten Abend bei ihm zuhause, als sie völlig unerwartet zu seiner Einweihungsparty auftauchte und ihn und seine Freunde im Sturm eroberte. Er kannte sie nur aus einem seiner Kurse, als hübsches, stilles, sehr kluges – nun, hauptsächlich aber hübsches Mädchen. Daher die Einladung. Warum sie auftauchte, weiß er bis heute nicht. Er weiß nur, dass er froh ist. Dass er sie mag.

Am liebsten mag er sie, wenn sie ihre kühle Gelassenheit fallen lässt, ihren Gesprächspartner mit Blicken aufspießt und laut und eindringlich ihr Meinung zu irgendetwas darlegt, dabei Worte durch den Raum schleudert mit Händen und Füßen. Und immer dieses Lächeln, das ihr bei solchen Diskussionen aufs Gesicht gemalt scheint und das es dem Gegenüber fast immer unmöglich macht, zu widersprechen. Nicht, dass es oft etwas zu widersprechen gäbe, ihre Argumente sind stets durchdacht, ihre Ansichten vorsichtig abgewogen und nie tatsächlich extrem.

Solche Momente sind selten, man muss das richtige Thema treffen und das ist bei ihr schwer zu erraten. Sonst ist sie still und so in sich versunken, so abgeschlossen, dass sie oft für schüchtern oder arrogant gehalten wird. Vielleicht ist sie das. Vielleicht verwirrt die Aufmerksamkeit, die sie ihm schenkt, ihn darum so sehr: weil sie von einem Vertrauen zeugt und eine Anerkennung darstellt, die er seines Wissens mit nichts gerechtfertigt oder ermutigt hat.

Doch andererseits scheint es nur natürlich, dass sich zwei Fremde in einer Großstadt aneinander festhalten. Zwar kommen sie nicht aus derselben Stadt, doch beide sind aus dem Süden und irren nun zwischen Kanälen und nördlichem Meerwind.
Alkohol hilft dabei, sie zu öffnen. So kam es wohl dazu, dass sie sich vor Weihnachten einmal etwas heftiger an ihm festhielt, als es für seine Beziehung angemessen war. Das sagte er damals auch indem er sie von sich schob, zitternd vor Angst, sie könne widersprechen. Er wusste, dass er dem nichts entgegenzusetzen hätte. Doch seine Sorge war unbegründet, sie lächelte nur und strich ihm über die Wange. Er spürte diese Berührung noch lange, nachdem sie gegangen war, lange nachdem sie beide über die Weihnachtsferien nach Hause gefahren waren, lange, nachdem er dort seine Freundin verlassen hatte.

Und nun sitzen sie also wieder in seiner Wohnung, zurück an ihrem angestammten Platz auf dem Boden, direkt an der Heizung, die täglich einen tapferen Kampf gegen die nordische Kälte austrägt. Ihre Pupillen: geöffnete Türen. Er fasst Mut und erzählt von der Trennung.

Ihr Lächeln blitzt auf doch irgendetwas in ihr fällt zu. Steif erklärt sie, wie gut sie es finde, dass sie beide so vernünftig gehandelt haben und so erwachsen mit der Situation umgehen. Wie ironisch es sei, dass Fernbeziehungen durch moderne Kommunikationsmöglichkeiten nicht leichter, sondern schwieriger werden. Wer denn heute noch die Gänsehaut kenne, die das Geräusch eines aufreißenden Briefumschlags auslöst. Dabei klammert sie sich immer fester an den Heizkörper.

Ob ihr kalt sei, unterbricht er sie vorsichtig. Sie verstummt, nickt, die linke Wange an die Heizung gepresst, die Arme um die Knie geschlungen. Er holt eine Decke.
Legt sie ihr um die Schultern. Er erschauert, wie damals, als er sie wegdrückte. Weil er sie heute an sich drücken will. Er lässt die Decke nicht los, sie nimmt die Decke nicht, verharrt in ihrer kauernden Haltung, er auf Knien vor ihr, die zitternden Hände noch immer auf ihren Schultern. Langsam, fast ängstlich, hebt sie den Kopf und sieht ihn an. Ihre linke Wange, die am Heizkörper lag, ist gerötet. Er gibt auf.

Fast grob reißt er sie mitsamt der Decke zu sich und küsst sie. Sie wehrt sich nicht. Erwidert den Kuss. Lässt sich von ihm zu Boden ziehen, wird von ihm begraben, taucht wieder auf, verharrt über ihm. Er liegt auf dem Rücken und sieht ihr Gesicht über sich, eingerahmt von den langen Haaren, die wie ein Vorhang um sein Gesicht herum auf dem Boden liegen und die Welt außerhalb ihrer beiden Köpfe aussperren. Und ihre Augen, ihre Augen sperren ihn aus.

Verwirrt fragt er sie, was los sei. Das Lächeln, zärtlich und einnehmend, blitzt auf. Sie sei gerne für ihn da, auch physisch, doch sie habe Angst, dass das mehr schaden als helfen würde. Er erkenne doch auch, wie gefährlich es sei, einen solchen Schritt in der aktuellen Situation, vor allem in der seinen, zu unternehmen. Die emotionale Wirkung von Sex werde in der heutigen Gesellschaft deutlich unterschätzt. Nicht, dass sie das bisher Geschehene bereue, das sei sicher nötig gewesen, doch genauso nötig sei es abzuwägen, wann man gehen muss. Und das sei für sie jetzt.
Er widerspricht nicht. Während sie ihren Mantel anzieht bestätigt er ihr verwirrt und ernüchtert, wie recht sie doch habe und wie gut, dass sie das so ausgesprochen hat. Dankbar empfängt er jedes ermutigende Lächeln und Nicken, das sie ihm schenkt.
Nachdem die Tür hinter ihr zugefallen ist legt er sich die Decke um die Schultern, setzt sich auf den Boden und presst die linke Wange an den Heizkörper.


Weinstürme, wilde.
Wir taumeln, wir schreien,
verzeihen der Welt, werden milde.

Umarmungen, grobe.
Wir packen, wir beißen,
zerreißen das Segel, das hohe.

Kehrtwende, wirre.
Wir sehen, verstehen,
entgehen dem Schiffbruch. Der irre
Kurs schnell berichtigt.
Verdächtige Ruhe nach dem Sturm.

Tauben fliegen, kommen nicht zurück.
Vielleicht gelandet, vielleicht ertrunken.

Freitag, 4. Februar 2011

Was es ist

Herzlich Willkommen an alle Herzen,


die wie ich durchs Leben stolpern. Wer müde ist kann hier aussetzen und sich für eine Weile in Worte legen: Gedichte und Kurzgeschichten, maßgeschneidert und angepasst. (Denn ich kenne dich.)

Dies ist die beta-Version von halsüberkopfverlebt, die mir und all den Menschen, die in mir leben, etwas mehr Platz einräumt. Aber wenn du aufmerksam liest findest du sie zwischen den Zeilen.

In diesem Sinne:


Treten Sie ein, legen Sie Ihre
traurigkeit ab, hier
dürfen Sie schweigen


Reiner Kunze