Diese Seite enthält nur Worte und ist nicht daran interessiert, deine Augen oder Ohren zu unterhalten.

Keine der Personen, die hier beschrieben werden, existiert wirklich. (In deinem Leben.)

Alles, was hier beschrieben wird, ist wahr. (In deinem Kopf.)



Montag, 14. März 2011

Mein Bruder ist Einzelkind

Es war das erste Mal, dass er ihr erlaubte, in seinen Notizen zu stöbern. Gebannt starrte sie auf die ungelenke Handschrift des 16jährigen, und sie stellte die Musik ab. Belle and Sebastian verstummten. I was happy for a day in 1975.

Ungläubig las sie den Text, den sie von einem Jungen seines Alters nie erwartet hätte, noch einmal. Dann betrachtete sie das Foto von ihm mit seinem Freund, das auf seinem Schreibtisch stand. Er, dessen Gesicht nichts als große dunkle Augen und volle Lippen war. Der andere, blasse Blonde, dessen skandinavisches Gesicht etwas Diabolisches hatte in all seiner durchsichtigen Schönheit.

Sie nahm sein Notizbuch und setzte sich zu ihm aufs Bett, den Kopf auf seine Schulter gelegt. Sie wusste dass er es nicht mochte, wenn sie ihm so nahe kam, doch seine Haare rochen wie das Fell ihrer Katze, sauber und nach Sommerstraße. Sie mochte das elektrische Knistern.

Nicht zum ersten Mal überlegte sie, was wäre wenn…
Doch es war anders. Alles, was sie heute oder jemals von ihm bekommen würde, waren diese Katzennächte, deren Spannung er hasste und sie liebte.
„Lies es mir vor“, bat sie ihn und legte ihm das geöffnete Buch auf die schmalen Jungenoberschenkel. Er nahm es, hielt es steif in der Hand und begann mit seiner dünnen, hohen Seidenstimme zu lesen.


Allein auf der Schaukel
durch die Nacht fliegend
halte ich plötzlich an und überlege
wie wär’s denn wenn ich
bei den Schwänen wäre und bei der Frau mit
den unkontrollierbaren Haaren
Aber weißt du, das kann ich nicht denn
mein Bruder ist Einzelkind.

Meine Eltern haben Jahre gebraucht um es zu merken.
Sie fragten den Arzt,
aber es war der aufgehängte Wissenschaftler, der
ihnen endlich Antworten gab.
Sie sprachen von seinem Haarnetz und seinem Kaugummi,
dass er sich so vor den Augen der Straßenecken fürchtete
mit all den fleischigen Straßenlaternen

als ob die gefährlich wären.
Rotlicht macht ihn gefährlich
mit einer Tonne Stahl im Bein.
Er strampelt wie ein Kind ohne
Eiscreme, was natürlich nicht die Antwort ist.
Es gibt keinen Grund dir zu erklären warum
mein Bruder Einzelkind ist.

Ich fragte ihn einmal
während er den
Eiffelturm
mitten in Paris bestieg
ich konnte ihn nicht hören
weil er flüsterte
wie eine Mundharmonika, die in der stillen
Hintergrundnacht unter roten Seidenvorhängen spielt.

In der Tiefe des Nachmittags
schrieb er auf meine Hand
Ich komme aus einer kleinen Wüste, versteckt
an einem unbekannten Ort.
Er sagte, dass Bücher ihm ins
Gesicht schlagen wenn es jemand erführe und
das mindeste, was ich tun konnte, war
meine Augen zu schließen.

Ich fuhr nach Indien in einem Boot und sah
die lange Kurve seines Rückens nicht
bevor ich ging.
Zehn Jahre später hatte er seine Hände abgeschnitten.
Entsetzen rannte durch die Straßen wie
Mäuse ohne Käse
ich schwamm zu seinem Hotel und schlug die Tür ein.

Da saß er, milchübergossen,
zitternd, während die Wände um uns einstürzten.
Der Blinde wollte sie nicht reparieren.
Also fragte ich ihn wegen seiner Hände
aber er sagte er habe jetzt einen Gips
und wenn ich es wirklich wissen wolle
sollte ich einfach in meinem Privatleben schauen.

Behäbig trank ich meinen Notfallwhisky.
Er lachte während dieser mir aus den Ohren fiel
und dann in meine Nase schlüpfte.
Ich fiel zu Boden mit rotierendem Kopf
wie ein Riesenrad vor Sonnenuntergang.

Als ich so dalag zeigte er auf einen riesigen
Finger und er sagte ich weiß wer
du bist und um deine gierigen Lügen.
Die Versuche, die du unternimmst, um dich
interessant
zu machen,
was du nie sein wirst.

Aber es ist mir egal.
Ich habe einen neue Geschichte zu erzählen,
all diese Klatschsüchtigen
deren Leben du zerstört hast
indem du meines zu einem Rauchvorhang gemacht hast.

Ich werde ihnen mit meiner bleiernen Sonnenbrille
und einem Schlauch in meiner Lunge sagen,
dass ich Jahre gebraucht habe um herauszufinden dass
mein Bruder Einzelkind ist.


Original von Michael Black
Übersetzung von mir



Notiz: Das Gedicht ist tatsächlich eine Übersetzung eines Textes meines Freundes Michael. Die Kurzgeschichte dazu hat nichts, aber auch rein gar nichts mit ihm als Person oder mit unserem Verhältnis im echten Leben zu tun und existiert nur in Wortwelten.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen