Ein Mädchen sitzt gebückt an einem viel zu kleinen
Schreibtisch. Der viel zu kleine Schreibtisch duckt sich unter ein viel zu großes
Fenster, an dessen Seiten zwei viel zu helle Vorhänge in kalten Windstößen, die
den zaghaften Widerstand der viel zu dünnen Scheiben Glasscheiben und
Fensterrahmen durchbrochen haben, tanzen.
Ihr Laptop nimmt fast die gesamte Schreibfläche ein. Sie
sieht absurd riesig aus, wie sie so tief über die Tastatur gebeugt dasitzt. Sie
schreibt und sie zittert und sie schreibt.
Ihre Füße sind nackt. Jedes Mal, wenn sie sie hochzieht, weg
vom blanken Holzboden und auf die Sitzfläche des weiß-grauen Plastikstuhls, schwankt
dieser bedenklich. Es fehlt eine wichtige Schraube an der Rückenlehne, deren
Abwesenheit scheinbar die Gesamtkonstruktion in Gefahr bringt.
Alles an ihr und um sie ist in Bewegung, abgesehen von ihren
statisch verkrümmten Schultern, ihrem steif nach vorne gereckten Nacken und
ihrem verbissen-verspannten, erstarrt-gebannten Gesicht. Diese Körperpartien
sind so völlig regungslos, dass sie nicht einmal mit ihrem restlichen Körper in
den Luftzügen erschauern. Sie beobachtet die Worte, die den weißen Bildschirm
verdunkeln. Ihre Füße in einem ewigen risikoreichen Wechselspiel zwischen Boden
und Stuhl, ihre Finger verzaubert vom rhythmischen Trommeln ihres eigenen
Tippens.
Manchmal zuckt eine ihrer Hände reflexartig zu ihren Beinen
oder ihrem Bauch und sie kratzt brutal, hörbar, für wenige Sekunden über die
weite blaue Stoffhose oder den dunkelgrünen Fleece Pullover knapp unterhalb der
Brüste. Dann verzieht sie kurz den Mund und kneift die Augen zusammen, als
würde sie in die Sonne blicken. Ihren linken Daumen hat sie weit abgestreckt,
selbst beim Tippen. Wenn er trotz aller Vorsichtsmaßnahmen irgendetwas berührt,
holt sie zischend Luft. Und stets nimmt sie einen Schluck aus der braunen
Flasche.
Das Tageslicht, das sich erst mühsam durch die schottischen
Wolken kämpfen musste, um die Szene einzufangen, schwindet. Im künstlichen
Strahlen ihres Laptopbildschirms wirken ihre Augenringe fast schwarz.
Sie hat Augenringe, denen man geradezu ansieht, dass sie Gewicht haben. Du weißt schon, was ich
meine. Diese Art von Augenringen, die wirklich geradezu fühlbar innen am
Tränenkanal und außen am letzten Katzenwinkel des Augenlids aufgehängt sind,
wie eine Hängematte. In die man achtlos alle Wünsche und Zukunft und leeren
Bierflaschen werfen kann, und die sinken und knarzen und sich wiegen und biegen und
die mich doch nicht im Stich lassen – sie halten.
Und mit etwas Kaffee spüre ich selbst in so einer Nacht die
Müdigkeit kaum. Und mit etwas Alkohol kann mich auch der Herbst nicht beißen.
Ich starre die Worte an, die meinen Bildschirm füllen, und bei jedem einzelnen Leerzeichen wandern meine Mundwinkel
für Sekundenbruchteile um Millimeterstückchen nach oben und fallen sofort
wieder. Und meine Gedanken, die sich wie ein Malstrom um meine beiden unabhängigen
und unerklärlichen Hautausschläge sowie den pochenden Daumen, dem ich leider
aus Versehen fast den Nagel abgenommen und dann halbherzig wieder angepflastert
habe, kreisen, lösen sich langsam aus dem Sog und schwimmen, treiben, holen
kurz Luft und tauchen wieder ab, und ich spüre wirklich fast gar nichts mehr,
und so langsam frage ich mich, ob meine Augenlider nicht schon längst unter der
Last nachgegeben haben aber eben einfach inzwischen genauso hell sind wie meine
Vorhänge, und meine Hände, meine Hände, sie lieben ihr eigenes Trommeln so, und
die braune Flasche fühlt sich so glatt und so leicht an, und das ist selten ein
gutes Zeichen, und meine Schulter ist Treibholz, an das sich irgendwer klammert
–
Sie schrickt auf und reißt die trägen trüben Augen auf, als
ihr Mitbewohner sie an der Schulter packt und schüttelt. Er lacht über ihre
Reaktion und stellt ihr eine volle Flasche Bier neben den Laptop. Seufzend
nimmt sie einen tiefen kühlen Schluck. Seine Warnung, nicht mehr zu lange zu
machen heute Nacht, ist Meeresrauschen, und ich stürze mich zurück in die
Fluten.
So lange schon gefangen
im Vergehen.
Vergangenem vergebend,
nie er- und stets nur lebend.
Zu lange schon stehst du zum Sprung geduckt,
verharrt in hauchzarter Ironie vergessener Gesten.
Sprachen, unbegriffen: Laute und Formen.
Die Gegenwart
ist Lyrik
reiner Reime.
Deine, meine, einerlei: eine
oder einer muss
ausbrechen
nach vorne.
Anmerkung: Dies ist eine Fingerübung in sprachlicher Kameraführung und ein spontaner kleiner Beitrag für einen Freund. Falls du das liest: I'll go out fighting all of 'em. Danke.
Und Ben: der Schmerz muss noch ein wenig warten. Aber er kommt. (Immer.)
:)
AntwortenLöschensmiley face you
AntwortenLöschen"In Teilen Großbritanniens haben heftige Regenfälle ganze Landstriche geflutet. In der Grafschaft Yorkshire setzten Einsatzkräfte Schlauchboote zur Rettung der betroffenen Bevölkerung ein. In London wurde eine Frau von einem umstürzenden Baum erschlagen. Meteorologen warnen vor weiteren Niederschlägen."
AntwortenLöschenhttp://www.youtube.com/watch?v=0mk9_Ndly2I
Ach, shit. Vielleicht als kleine Stütze für die Dissertation mal straightforward. Der Text las sich etwas verspannt. Daher...
AntwortenLöschenWider den Dämonen der kleinen Zeit:
http://www.nzz.ch/aktuell/feuilleton/literatur/flucht-in-die-grosse-zeit-1.17609951
Für die Kontemplation symbolischer Tugenden:
http://www.alejandro-jodorowsky.de/tarot/arkanasprechen.html
Und ganz profan:
www.youtube.com/watch?v=UPAr2cSUcFw
Lieber Ben,
AntwortenLöschenmein Kopf tut weh.
Aber nicht deinetwegen.
Trotzdem ist das der Grund, warum ich hier nichts sage. Hoffentlich bald wieder mehr. Und wer weiß, vielleicht ist der Schmerz ja Inspiration, irgendwann.
Grüße
Könntest du nicht öfter posten?
AntwortenLöschenMein Herz verzehrt sich
nach deinen Worten.
Lass es nicht immer so lange leiden...
Liebe Grüße
Liebe Architektin,
AntwortenLöschendu ahnst ja gar nicht, wie sehr mich das freut, und wie gerne ich deiner Bitte nachkommen würde.
Im Moment habe ich leider eine ziemlich substanzielle Philosophie Dissertation zu schreiben und lebe nicht genug, um darüber zu berichten. Ab Freitag (Abgabe) wird sich das hoffentlich wieder ändern. Falls der Worthunger zu schlimm wird, ich verschicke auf Anfrage gerne besagte Dissertation. Ob eine Abhandlung über "Beings and Time, Objects and Space: An Analysis of the Connection between Time and Space in Heidegger’s Existentialism and Harman’s Object-Oriented Philosophy" allerdings irgendwen auf irgendeine Art befriedigen kann ist eine andere Frage.
"The dissertation should be [...] paginated 1 to infinity." It is on.