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Freitag, 16. März 2012

Zwischenräume



Man sagt ja, die Augen seien der Spiegel der Seele. Das ist so nicht ganz richtig. Tatsächlich habe ich festgestellt, dass sie mehr eine Tür sind.
Ich hatte so einen Verdacht, lange bevor ich Beweise hatte. Meine Theorien gründeten sich auf die detaillierte Lektüre phantastischer Literatur sowie einige flüchtige Ausflüge in die kognitive Psychologie, welche zwar immer recht unterhaltsam aber zum Großteil wenig hilfreich waren. Das Problem mit Türen ist natürlich, dass man sie absperren kann, was die meisten Menschen denn auch tun. Weniger aus egoistischen Gründen, wie ich meine, sondern mehr aus Nächstenliebe. So eine Seele ist ja in der Regel weit weniger glamourös als das klangvolle Wort mit seinen drei Es durchblicken lässt. Um es anders auszudrücken, Menschen, die im Erdgeschoss wohnen, schaffen sich die Vorhänge nicht an, weil sie so stolz auf ihr geschmackvoll eingerichtetes und stets ordentliches Wohnzimmer sind.


Tatsächlich öffnen Menschen ihre Augentüren sehr viel eher für Dinge als für andere Menschen. Das stellte ich fest, als ich nach monatelangen fruchtlosen Einbruchsversuchen meiner damaligen Freundin den Weinkorken unseres ersten gemeinsamen Abendessens zu irgendeinem Jubiläum, ich glaube es war ein fünfjähriges, schenkte. Zunächst dachte ich, sie sei enttäuscht, weil sie, wie ich wusste, seit einiger Zeit einen Ring erwartete, doch dann erkannte ich dass das, was ich für Schatten oder Tränen gehalten hatte, die weit geöffneten Tunnel ihrer Augen waren.
Nach dieser Entdeckung war alles ganz einfach. Ich scheute keine Kosten und Mühen (extravagante Abendessen, Reisen, Kunstwerke, schließlich der Ehering) um etwas Übung zu gewinnen, und es dauerte kaum zwei Jahre, da konnte ich durch Türspalten schlüpfen, an denen Katzen gescheitert wären. Oft reichten der Anblick von Schokolade oder einem Designerkleid bei Frauen, ein Fußball oder eine Bierflasche bei Männern, um mich einzulassen.


Doch ich muss euch sagen, irgendwann versiegt die Neugierde. Die meisten Menschen ähneln sich und die, die sich von der Masse unterscheiden, sind weit öfter erschreckend als erfreulich. Seit langem schon habe ich es aufgegeben, in andere Menschen einzudringen. Ich bin inzwischen lieber allein und ungestört. Es macht mir nichts aus, die Ergebnisse meiner mühevollen Arbeit mit euch zu teilen, sie erscheinen mir leider sehr unbedeutend.
Unter uns, ich arbeite an einem neuen Projekt. Ich versuche, Einblick in meine Seele zu bekommen. Dafür habe ich mir bereits diverse Spiegel sowie Fotoapparate, Videokameras und Webcams besorgt. Auf all diesen Oberflächen starre ich nun jeden Tag stundenlang in meine Augen. Aber ich fürchte, genau da liegt das Problem. Um es anders auszudrücken, meine Augen öffnen sich für mein Gesicht keinen Millimeter. Mein Gesicht öffnet meine Augen keinen Millimeter.
Keinen Millimeter.




Zwischen uns liegt
Raum,
tief und weit(er).


Wir vergessen den
Zaun,
fallen frei(er).


Abgründe halten unseren Atem (an).


Zungen verbrennen beim Auf-
zergehen.
Augen erblinden beim Aus-
versehen.
Gerüche verirren im Sommer-
erblühen.
Knochen zerknirschen beim Ein-
zerfühlen.


Abgründe halten unsere Sinne (gefangen).


Natürlich sind wir gegen die Natur.
Wir bauen brüchige Brücken,
wir brechen Hälse und Rücken
in wütenden Sprüngen.


Doch abends dann, wenn wir zu müde sind,
begnügen wir uns damit in den Schlund
ein blickgespicktes Wort zu schicken, flehend
dass Echos wohl die andre Wand erklimmen
und dass der andre das, was unsren Mund
einmal verließ, entstellt, vielleicht versteht.

3 Kommentare:

  1. Die Geburt der Satire aus dem Geist der Wiederholung? Falls ja, aber eigentlich auch so, hast du dir soeben deinen ersten Schrumpfkopf(-Schlüsselanhänger) verdient. Die Lyrik holt sich das Lebendige im Abklang ja wieder zurück; immer dieses lebendige... Aber gut!

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  2. Danke und: genau! Das gilt für euch beide.
    Eine kleine Ode an die Freude der Inspiration.
    Der Schrumpfkopf kommt umgehend zu den gesammelten Kokosnüssen.

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