Diese Seite enthält nur Worte und ist nicht daran interessiert, deine Augen oder Ohren zu unterhalten.

Keine der Personen, die hier beschrieben werden, existiert wirklich. (In deinem Leben.)

Alles, was hier beschrieben wird, ist wahr. (In deinem Kopf.)



Mittwoch, 30. März 2011

Zu (z)weit



Zu zweit waren sie überraschend erfolgreich, vor allem sie.


In ihren weißen engen Tank Tops , die ihre kleinen Brüste unter den schwarzen Hosenträgern eher betonten als verdeckten. Mit ihren High Heels, die ihre mangelnde Körpergröße zwar korrigierten, gleichzeitig aber ihren Gang in ein ungelenkes Staksen verwandelten und ihre Sportlichkeit nur unterstrichen. Mit ihrer grünen übergroßen Cordjacke, die sie vor Monaten von ihm bekommen hatte und die ihr wohlgehüteter Schatz war. Jeder wusste dass diese Jacke ein Symbol ihrer Zugehörigkeit und Loyalität ihm gegenüber war – sie hätte genauso gut eine Leine tragen können.

Wann genau sie von Partnern in life zu Partnern in crime wurden wusste niemand so genau, wahrscheinlich wussten sie es selbst nicht. Für wenige Wochen hatte es tatsächlich so ausgesehen als hätte sie ihn, den Frauenheld und Schürzenjäger, den Abenteurer, den Cowboy, gezähmt. Dann hatten sie eines Abends in ihrem nach wie vor spektakulärsten Raubzug in derselben Nacht und in derselben Wohnung zwei Zwillinge flachgelegt. Seitdem war sie ihm optisch immer ähnlicher geworden, sie trug seine Klamotten, hatte sich sogar seinen Haarschnitt verpassen lassen und sah auf bizarre Weise aus wie seine kleine Schwester – oder vielmehr sein kleiner Bruder. Man sah sie tagsüber kaum noch zusammen, dafür waren sie nachts unzertrennlich. Sie hatten sich auf weibliche Zweierpärchen eingeschossen, Freundinnen oder besser noch Schwestern, er traf die Auswahl und machte den ersten Schritt, sie folgte ihm wie ein Schatten und nahm, was er ihr übrig ließ.
Obwohl sich vor allem anfangs nicht jedes Mädchen auf das Spiel einließ und sich mit der kleinen (und weiblichen) Kopie einer der beliebtesten Männer der Stadt zufriedengab mussten selbst die größten Zyniker zugeben, dass ihre Erfolgsquote unerwartet hoch war und dass sie Frauen mit nach Hause nahm, an denen sich schon viele attraktive Männer die Zähne ausgebissen hatten.

Inzwischen ging es soweit, dass sie als Trophäe selbst bei Frauen nahezu beliebter war als er. Diese Entwicklung brachte ihre Routine, in der er die erste Wahl hatte, etwas durcheinander wenn sich seine Auserwählte von ihm abwandte und mit ihr zu flirten versuchte. Doch ihre Loyalität kannte keine Grenzen, sie begegnete solchen Annäherungsversuchen mit eisiger Kälte und wand sich unter seinen strafenden Blicken. Andere Männer ließ sie nicht einmal in ihre Nähe.

Zum Teil war ihre Popularität vermutlich der Tatsache geschuldet, dass niemand so richtig wusste was geschah, wenn sie ein Mädchen mit zu sich oder mit zu ihm nach Hause nahm. Während seine Eroberungen bereitwillig Auskunft über Stellungen, Technik und Ausdauer gaben, hüllte sich jedes einzelne ihrer Mädchen in dunkles Schweigen. Es war ein Geheimnis, das sie alle verband, und es sah nicht so aus, als hätte irgendwer vor es zu lüften.


Bring mich um
mehr weiße Nächte.

Ich liebe die Peitschenhiebe
deiner Blicke. Triebe mein Fieber
Richtung Licht,
ich müsste es erklimmen
mit erregungsklammen Händen,
hoffnungsklammern und enttäuschungsjammern.

Ich kann nicht still sein
will ich die sein
die du siehst wenn du leise Träume träumst.

Montag, 21. März 2011

Notfallwhisky

Inspiriert von Michael Blacks „My brother is an only child


Es gibt Nächte, in denen ist es so kalt, dass du nicht einschlafen kannst. Auf die Seite gelegt umschlingst du deine Beine und drückst das Gesicht zwischen die Knie, um die Wärme deines Atems einzufangen. Dein gesamter Körper wird eine einzige, koordinierte Masse arbeitender Muskeln, die das bisschen Energie, das übrig ist, möglichst schnell und gerecht verteilen. Gedanken hast du keine. Nie bist du so Tier wie in diesen Nächten, in denen es so kalt ist, dass du nicht einschlafen kannst.

Und dann, wenn der Kampf gegen die Temperatur aussichtslos erscheint und du eben doch in einen verstörten Schlaf stolperst, dann erst geht es wirklich los. Du erfindest die Angst neu.

Das Model starrt dich an mit seinen Puppenaugen. Die roten Lippen sind zu einem grässlichen Kameralächeln verzerrt und eingefallenen Wangen scheinen fast schwarz in dem Pergamentgesicht. Sie hat wilde rote Locken, die sie wie eine Mähne schüttelt und dabei lacht. Ihre Stimme ist Kreide auf einer Schiefertafel. Du bist nervös und weißt nicht wieso. Du wirfst einen Blick auf die anderen Mädchen, die ihr gegenüber mit dir in einer Reihe stehen, sie sind nicht nervös. Sie wissen auch nicht, warum du nervös bist.
Das Model kreischt Befehle in eure Reihe. Die Mädchen folgen gehorsam und drehen sich einmal im Kreis, laufen auf und ab, fallen auf die Knie oder binden sich die langen braunen Haare zurück. Sie haben alle lange braune Haare, abgesehen davon sehen sie genauso aus wie das Model. Bald bist du an der Reihe. Du fragst dich, welche Übung du vollführen sollen wirst. Du fragst dich, ob du deswegen nervös bist. Aber das ist es nicht.
Eines der Mädchen legt die Haare über die Schulter. Und plötzlich siehst du es. Die Haare des Models sind gar nicht rot, das ist das Blut. Dir wird übel. Das Blut ist Teil des Grundes, warum du nervös bist. Du willst nicht hinsehen aber du musst es nun wissen.
An Stelle von Armen fuchtelt das Model unter Schreien und Keifen mit zwei blutigen Stumpen herum. Ihre Locken kleben daran fest. An der linken Schulter ist noch ein wenig zerfetztes Fleisch und so etwas wie ein Ellenbogengelenk erkennbar. Die rechte Schulter setzt sich nur ein paar Zentimeter fort, aus dem glatt abgeschnittenen Ende strömt ein feiner Blutstrahl.
Nun bemerkst du auch die Sanitäter, die emsig versuchen, eine Trage unter sie zu schieben. Sie scheint zu sitzen, aber du willst nicht genauer hinsehen, aus Angst dass sich ihre Beine als genauso verstümmelt herausstellen wie ihre Arme. Du siehst nicht hin. Du siehst nicht hin.
Die Sanitäter laufen zwischen den Mädchen hindurch und schieben sie beiseite. Die Mädchen sind nun regungslos, sie sind Schaufensterpuppen. Du willst eine von ihnen anfassen, da merkst du es.
In deinen Händen, schuldbewusst hinter dem Rücken versteckt, hältst du die Reste ihrer Arme. Du starrst sie für einige Sekunden fassungslos an. Dann lässt du sie fallen. Du willst dich übergeben, du beugst dich zur Seite, um dich nicht auf ihre Armreste zu übergeben, du willst dir die Haare aus dem Gesicht halten aber du kannst nicht, deine Hände sind verklebt mit Blut, Haut, Fleisch und einer schwarzen, schmierigen Substanz, du streckst die Arme links und rechts soweit es geht von dir und nach hinten. Du kannst sie trotzdem riechen. Du würgst in deine langen braunen Haare hinein, aber du übergibst dich nicht.
Du willst einem der Sanitäter erzählen, was geschehen ist, aber niemand außer dem Model kann sprechen. Sie kreischt und befiehlt mit unvermindertem Nachdruck. Du deutest auf die Körperteile am Boden, niemand sieht dich.
Du betrachtest die Schaufensterpuppen. Es sind keine Schaufensterpuppen, es sind immer noch die Mädchen. Sie tun nur so als ob. Du siehst, dass sie eben doch von Anfang an wussten, was hier geschieht, und nur unheimlich froh waren, dass sie nicht an deiner Stelle stehen. Du hasst sie.
Du wischst deine Hände an den Nylonhaaren des Mädchens neben dir ab. Sie werden nicht wirklich sauber, aber du siehst wie sich ihre Augen entsetzt weiten.

Du wachst auf in derselben Haltung, in der du eingeschlafen bist. Dein Bett ist nass vom Schweiß und von deinen Tränen. Du hast einen bitteren Geschmack im Mund.
Schwer atmend starrst du lange in die Dunkelheit und lauschst, hoffst irgendein vertrautes Geräusch zu hören. Etwas, das dir beweist, dass die Welt ohne Angst nach wie vor da ist und dich sicher hält. Die Kälte hast du vergessen.
Unter Schmerzen lockerst und löst du deine verkrampften Muskeln und rollst du dich auf den Rücken. Mit der rechten Hand tastest du in deiner Nachttischschublade. Kondome, Vibrator, da – Notfallwhisky.


Höflich klopft,
stilvoll schleicht
mein Nachtmahr.

Bleiern tropft
Schweiß und bleicht
Haut und Haar.

Dalí schwingt den Pinsel
durch schwarzrote Uhren und
langsam bewegen sich Buñuels Linsen
durch Augen und Hände und Ameisenschwärme
doch Cesares Sarg rastet ruhig und wartet
auf Jeanne d’Arc. Die weiß es. Und leisesten Fußes
besteigt sie den weißen Thron.
Schon schlägt es zum Tanze und ganze Heere
von Männern auf Mähren mit Mahren
erschlagen sie.

Ludwig van zählt sie feierlich an.

Montag, 14. März 2011

Mein Bruder ist Einzelkind

Es war das erste Mal, dass er ihr erlaubte, in seinen Notizen zu stöbern. Gebannt starrte sie auf die ungelenke Handschrift des 16jährigen, und sie stellte die Musik ab. Belle and Sebastian verstummten. I was happy for a day in 1975.

Ungläubig las sie den Text, den sie von einem Jungen seines Alters nie erwartet hätte, noch einmal. Dann betrachtete sie das Foto von ihm mit seinem Freund, das auf seinem Schreibtisch stand. Er, dessen Gesicht nichts als große dunkle Augen und volle Lippen war. Der andere, blasse Blonde, dessen skandinavisches Gesicht etwas Diabolisches hatte in all seiner durchsichtigen Schönheit.

Sie nahm sein Notizbuch und setzte sich zu ihm aufs Bett, den Kopf auf seine Schulter gelegt. Sie wusste dass er es nicht mochte, wenn sie ihm so nahe kam, doch seine Haare rochen wie das Fell ihrer Katze, sauber und nach Sommerstraße. Sie mochte das elektrische Knistern.

Nicht zum ersten Mal überlegte sie, was wäre wenn…
Doch es war anders. Alles, was sie heute oder jemals von ihm bekommen würde, waren diese Katzennächte, deren Spannung er hasste und sie liebte.
„Lies es mir vor“, bat sie ihn und legte ihm das geöffnete Buch auf die schmalen Jungenoberschenkel. Er nahm es, hielt es steif in der Hand und begann mit seiner dünnen, hohen Seidenstimme zu lesen.


Allein auf der Schaukel
durch die Nacht fliegend
halte ich plötzlich an und überlege
wie wär’s denn wenn ich
bei den Schwänen wäre und bei der Frau mit
den unkontrollierbaren Haaren
Aber weißt du, das kann ich nicht denn
mein Bruder ist Einzelkind.

Meine Eltern haben Jahre gebraucht um es zu merken.
Sie fragten den Arzt,
aber es war der aufgehängte Wissenschaftler, der
ihnen endlich Antworten gab.
Sie sprachen von seinem Haarnetz und seinem Kaugummi,
dass er sich so vor den Augen der Straßenecken fürchtete
mit all den fleischigen Straßenlaternen

als ob die gefährlich wären.
Rotlicht macht ihn gefährlich
mit einer Tonne Stahl im Bein.
Er strampelt wie ein Kind ohne
Eiscreme, was natürlich nicht die Antwort ist.
Es gibt keinen Grund dir zu erklären warum
mein Bruder Einzelkind ist.

Ich fragte ihn einmal
während er den
Eiffelturm
mitten in Paris bestieg
ich konnte ihn nicht hören
weil er flüsterte
wie eine Mundharmonika, die in der stillen
Hintergrundnacht unter roten Seidenvorhängen spielt.

In der Tiefe des Nachmittags
schrieb er auf meine Hand
Ich komme aus einer kleinen Wüste, versteckt
an einem unbekannten Ort.
Er sagte, dass Bücher ihm ins
Gesicht schlagen wenn es jemand erführe und
das mindeste, was ich tun konnte, war
meine Augen zu schließen.

Ich fuhr nach Indien in einem Boot und sah
die lange Kurve seines Rückens nicht
bevor ich ging.
Zehn Jahre später hatte er seine Hände abgeschnitten.
Entsetzen rannte durch die Straßen wie
Mäuse ohne Käse
ich schwamm zu seinem Hotel und schlug die Tür ein.

Da saß er, milchübergossen,
zitternd, während die Wände um uns einstürzten.
Der Blinde wollte sie nicht reparieren.
Also fragte ich ihn wegen seiner Hände
aber er sagte er habe jetzt einen Gips
und wenn ich es wirklich wissen wolle
sollte ich einfach in meinem Privatleben schauen.

Behäbig trank ich meinen Notfallwhisky.
Er lachte während dieser mir aus den Ohren fiel
und dann in meine Nase schlüpfte.
Ich fiel zu Boden mit rotierendem Kopf
wie ein Riesenrad vor Sonnenuntergang.

Als ich so dalag zeigte er auf einen riesigen
Finger und er sagte ich weiß wer
du bist und um deine gierigen Lügen.
Die Versuche, die du unternimmst, um dich
interessant
zu machen,
was du nie sein wirst.

Aber es ist mir egal.
Ich habe einen neue Geschichte zu erzählen,
all diese Klatschsüchtigen
deren Leben du zerstört hast
indem du meines zu einem Rauchvorhang gemacht hast.

Ich werde ihnen mit meiner bleiernen Sonnenbrille
und einem Schlauch in meiner Lunge sagen,
dass ich Jahre gebraucht habe um herauszufinden dass
mein Bruder Einzelkind ist.


Original von Michael Black
Übersetzung von mir



Notiz: Das Gedicht ist tatsächlich eine Übersetzung eines Textes meines Freundes Michael. Die Kurzgeschichte dazu hat nichts, aber auch rein gar nichts mit ihm als Person oder mit unserem Verhältnis im echten Leben zu tun und existiert nur in Wortwelten.

Dienstag, 8. März 2011

Die Wortgrenze

Die Wortgrenze in mir ist eine semipermeable Membran. Sie teilt mich vertikal durch die Mitte.


My left side is stiff like an old lady’s frown

and as swift as a fish in a tank.

My left side is still wearing too tight a gown


with pistols at belt and at hand.


Words aimlessly darting in foreign storms.


Words shamelessly daring intimate norms.
Die Rechte ist schwer und geladen.

Beschlagen mit Echtgold:

Gewehr und gepanzerte Brust.

Bewusst voll von ganz andern Werten.



Worte müde Löwenjungen spielen in der Glut.

Worte rüde Jägerlungen gurgeln blaues Blut.


Sie laufen Hand in Hand, diese Seiten, und manchmal grinsen sie sich verschwörerisch zu. Doch wenn in the street of the sky night walks scattering poems (E. E. Cummings, the poems to come…, 10) and we will in den Sprachen beten, die wie Harfen eingeschnitten sind (E. Lasker-Schüler, Meine Wunder, Versöhnung) –

vor allem dann, wenn mein Körper is with your body. It is so quite a new thing. Muscles better and nerves more. (E. E. Cummings, the poems to come…, 15) –

and in particular when you are dunkel vor Gold – auf deinem Antlitz erwachen die Nächte der Liebenden. (E. Lasker-Schüler, Meine Wunder, Kete Parsenow) –

immer dann biegt und ächzt die Membran unter dem Druck der wilden Worte und die Wortgrenze zittert im offenen Feuer fliegender Patronen. (Und ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube manchmal stirbt sie sogar einen petite mort.)


Freitag, 4. März 2011

Von den Nächten

Sie schrie als sie sich das kochende Wasser mit zitternden Händen schwungvoll von der Tasse mit Instantkaffeepulver über die Küchentheke und auf den Fuß goss. Schnell hielt sie sich selbst den Mund zu, stellte den Wasserkocher ab und sprang auf einem Bein zur Spüle, schwang das andere Bein in das Waschbecken und ließ sich kaltes Wasser über den Fuß laufen ohne den Strumpf auszuziehen. Schwankend hielt sie sich eine Weile an der Küchenplatte fest und murmelte: „Das Gute ist: es tut erst morgen weh.“ Sie grinste in die dunkle Küche.

Tatsächlich spürte sie nur noch ein leises taubes Kribbeln im Fuß als sie das Wasser abdrehte, ihre halbleere Weinflasche griff und einen tiefen Schluck nahm. Besorgt überlegte sie ob ihr Schrei wohl ihre Mitbewohner aufgeweckt hatte, dann verlor sie den Gedanken über ein weitaus wichtigeres Problem: ihre randvolle Tasse wässrigen Kaffees.
Sie seufzte, goss vorsichtig ein wenig der braunen Flüssigkeit in den Ausguss und rührte zwei Extralöffel Kaffeepulver ein. „Just for good measure.“

Sie stolperte mit Kaffee und Wein bewaffnet und feuchte Fußabdrücke auf dem Parkettboden hinterlassend ins Wohnzimmer, wo ihr Laptop wartete. Er zeigte ein geöffnetes Word Dokument und 05:23 Uhr. Sie hatte keine Ahnung wo die letzten drei oder vier Stunden geblieben waren. Im Grunde genommen hatte sie keine Ahnung wo die letzten drei oder vier Nächte geblieben waren. Sie vermutete einen Zusammenhang zwischen den beiden weißen Flecken in ihrer Erinnerung und machte sich eine Notiz auf den Handrücken, die sie daran erinnern sollte der Sache nachzugehen sobald sie den Essay fertig geschrieben, abgegeben und endlich einmal wieder geschlafen hatte.

Sie nahm einen tiefen Schluck Kaffee und verbrannte sich die Lippen. (Das Gute ist: es tut erst morgen weh.) „Es wurde gezeigt, dass die Ästhetik der Schlaflosigkeit für Nietzsche…“ begann sie ihre Zusammenfassung. Das regelmäßige Klicken der Tastatur sollte für die nächsten paar Stunden das einzige Geräusch in der sich langsam erhellenden Wohnung bleiben.
Sie hatte ihre Mitbewohner nicht aufgeweckt.

(Sie fanden sie gegen Nachmittag auf dem Sofa. Ihr Laptop zeigte das online eingereichte Dokument, das volle Punktzahl und eine hervorragende Rezension bekommen sollte, und 16:23 Uhr. Dort, wo ihre Füße lagen, waren blassbraune Flecken auf der hellen Couch und auf ihrem Handrücken stand: „Zeit finden“.)


Die Nächte sind geschmolzen,
sie schwappen schwarz über Tassenränder
während ich Treppen steige.
Sie schmecken natürlich bitter.

Aber das geht schon, mit etwas Milch
fällt mir das Schlucken leichter und
es sieht schon fast aus wie Tag oder zumindest
Zwielicht.

Schwarze Meere, die ich verschütte
oder trinke und verdaue, voller
unbekannter Lichter und schleimiger Häute,
die meine Füße streifen.

Ich bin ein guter Schwimmer.
Ich bin ein noch besserer Trinker.
Das geht schon, mit etwas Mut
und überhaupt sieht es schon fast aus wie -
also diese ganze Sache mit den Nächten und
dem Kaffee und dem Meer, das sieht fast aus wie
ein Spiegel, der mir andere Menschen zeigt,
immer und immer wieder.